Wandskulptur (ohne Titel)

   Immer wieder wird gefragt, warum B.Chr.K.Barten ihren Wandreliefs so selten Titel beigibt. Ein abstraktes Kunstwerk bedarf natürlich keines Titels. Er wäre ja nur erklärbar als  eine Art  thematischer Stütze für den Vorgang der Rezeption. Genau genommen wäre ein Titel, der, je nach Abstraktionsgrad, ein mehr oder weniger hohes Maß an Willkürlichkeit besäße, nur gerechtfertigt bei erwiesenermaßen rezeptiver Unfähigkeit der BetrachterInnen. Eine derartige Annahme ist aber natürlich durch nichts gerechtfertigt. Im Gegenteil, das Weglassen eines Titels zeigt im Falle abstrakter Kunst, dass die Künstlerin/der Künstler den rezeptiven Fähigkeiten der Betrachterinnen viel zutraut.

 

   Auch die Annahme, daß  KünstlerInnen per Definitionen die besten Kritiker der eigenen Werke  sein müssen - schließlich hat sie/er sie ja gemacht - ist ebenso wenig gerechtfertigt. Künstlerisch etwas zu erschaffen hat nichts mit Kunstkritik gemeinsam. Die wenigsten Künstlerinnen schaffen jenseits ihres ureigenen Schaffenspotentials Gutes oder gar Großes. Einem abstrakten Kunstwerk einen Titel beizugeben, weil man das so macht, ist für dessen Rezeption daher wenig hilfreich. Das Gegenteil ist der Fall. Die Annahme, daß die Künstlerin/der Künstler sich doch etwas dabei gedacht haben muss, führt eher zu einer unbewussten Einengung der assoziativ rezeptiven Bandbreite seitens der BetrachterInnen. 

 

   Ebensowenig trägt es in irgendeiner Weise zum Verständnis abstrakter Kunst bei, wenn sich eine Künstlerin/ein Künstler mit der Aura großen Künstlertums umgibt. Auch ihr künstlerischer Wert wächst durch solch ein Verhalten um kein Jota. Über die Qualität der Kunstwerke sagt solch eine Attitüde nichts aus. Allenfalls erhöht diese Art der Eigenreklame kurzfristig den Grad öffentliche Aufmerksamkeit, die man dadurch erhält.

 

   Abstrakte Kunst gewinnt ihren Wert einzig aus der assoziativen Kraft,  die sie ausstrahlt. Das Fehlen handwerklicher Mängel sei dabei selbstverständlich vorausgesetzt. Genau diese Qualität erklärt den Reiz , der von den Wandskulpturen von B.Chr.K.Barten ausgeht. Messen kann man dies zum Beispiel daran, dass sie kaum eine Betrachterin/einen Betrachter völlig unbeeindruckt lassen. Dies heißt natürlich nicht, dass Ihre Arbeiten nicht auch Ablehnung erfahren. Nur eben völlig kalt bleiben bei der Rezeption ihrer Wandskulpturen die allerwenigsten. Ihre Arbeiten führen so gut wie immer zu einem emotionalen Erlebnis. Man kann  auch mit Julian Barnes formulieren, daß wir sofort anfangen zu plappern, wenn wir vor einer Wandskulptur dieser Künstlerin stehen. Irgendetwas glauben wir immer dazu sagen zu müssen, und sei es nur im Dialog mit uns selbst.

 

   Die für diesen Beitrag ausgewählte Einzelarbeit ist dafür ein gutes Beispiel. Der gleich beim ersten Betrachten von dieser Wandskulptur ausgehende ästhetische Reiz entzieht sich - wie so oft bei Arbeiten dieser Künstlerin - einer raschen Klassifizierung. Nun setzt unsere normale Reaktion auf in uns geweckte Neugier ein. Wir schauen uns den Grund für die geweckte Neugier näher an. Dadurch nimmt uns diese Arbeit erst recht an den Haken. Wir erkennen nun die kollageartig eingesetzten Elemente aus Metall, die den Ersteindruck bestimmt haben, ohne dass uns das beim ersten Hinsehen bewusst wurde. Netzartige Strukturen - mit unterschiedlicher Maschengröße - und lineare Metallelemente blicken uns ganz wörtlich an. Dies umso intensiver, je länger wir uns abwechselnd Details aus der Nähe anschauen, um dann wieder für den Gesamteindruck zurückzutreten. Früher oder später beschleicht uns das unbedingte Gefühl, dass uns aus diesem Objekt etwas oder jemand anschaut, gerade so, als seien wir das Objekt der Kunstbetrachtung und nicht länger das Subjekt, das Kunst betrachtet.

 

   Dieser ästhetische Reiz wird zusätzlich getragen vom subtilen Einsatz der Glasurfarben. In weiten Teilen wirkt sie wie eine Schwarz-Weiß-Arbeit, Nur an zwei Stellen wird dieses Farbprinzip aufgegeben. Der Eindruck der Grundfarbe Schwarz entsteht durch die dunkle Grundfarbe des Tons selbst, durch eine schwarze Effektglasur, und durch die Eisenelemente, die schwarz anlaufen, wenn sie den hohen Temperaturen des Brennofens ausgesetzt werden. Der Gegenpart Weiß wird durch hunderte winziger dunkler Adern durchzogen, ein Effekt, der durch eine Glasurfarbe entsteht, die den sprechenden Namen "Cobblestone" trägt. Die Dicke des Farbauftrags bestimmt die Größe der Risse, die beim Brennen entstehen. Im Endeffekt entsteht so nicht eine glatte Glasurfläche wie bei einer Wandfliese, die man abwischen kann. Vielmehr entsteht, wenn man der Idee eines Gesichts folgt, der Eindruck einer von vielen kleinen Äderchen durchzogenen Oberfläche.

   

    Gäbe man dieser Wandskulptur einen Titel, der so etwas wie ein Gesicht impliziert, dann ginge ein großer Teil dieses intuitiv assoziativen Prozesses auf Seiten der BetrachterInnen  verloren, denn dann würden wir dieses laut Titel dort verborgene Gesicht  krampfhaft suchen. Unser emotionales Erlebnis wäre dann aber völlig anders, und in jedem Fall deutlich stärker von außen gesteuert. Das aber würde der Grundidee der Rezeption abstrakter Kunst zuwider laufen. Zudem ist die Idee, das der/die BetrachterIn aus der Wandskiulptur angeblickt wird, nicht die Idee der Künstlerin, sondern die des Kritikers. Eine völlig andere Interpretation, einschließlich grundsätzlicher Ablehnung, bleibt BetrachterInnen völlig unbenommen, dem fehlenden Titel sei Dank. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Mephistopheles Rex (Donnerstag, 14 Oktober 2021 18:21)

    Auch mit Worten können abstrakte Bilder gemalt und unbestimmte Assoziation erzeugt werden. Somit könnte ein Name ein Werk durchaus bereichern. Das Beispiel "Gesicht" ist viel zu einfach um den Wert eines Namens zu bewerten, da es eine eine eine einfache Assoziation auslöst. Wie sollte ein Wort, das etwas physisches beinahe vollständig beschreibt auch zu einem abstrakten Bild o.ä. passen.
    Wenn Worte Kunst sein können (Wie Poesie) so können sie auch mit anderer Kunst vereinigt werden und diese vielleicht sogar bereichern. Und wenn sie nur die Richtung genauer bestimmen in die der Rezipient sich assoziativ bewegen soll. Und selbst wenn es die möglichen Assoziationen eingrenzt, so verliert es deswegen nicht an Kraft, Kraft entsteht nicht diffus sondern gerichtet.
    Außerdem denke ich, es heißt nicht der Künstler sei sein bester Kritiker, sondern sein größter und dies kenne ich von mir selbst, es gibt keinen Moment indem ich nicht erkenne wie wenig ich die Perfektion, die ich anstrebe, unfähig bin zu erreichen... egal wie oft ich es versuche.